Wie sozial ist Social-Media?

Immer wieder wird Web 2.0 definiert und der Soziale-Aspekt spielt jedesmal eine gewichtige Rolle. User-Interaktionen und Sharing sind mit die Kernbestandteile vieler Web 2.0 Anwendungen und trotzdem „wagt“ es Nico Flores gerade dieser Bewegung folgendes zu unterstellen: Taken together, these layers make for a fairly toxic mix–one dressed in reassuring libertarian colors while hiding within an intolerant style. Was er damit meint ist, dass die ganze Bewegung auf einigen Annahmen beruht, die zwar so eintreten könnten es aber nicht müssen und darin liegt natürlich ein beträchtliches Risiko.

Man muss sich auch nicht weit von den Anwendungen entfernen um festzustellen, dass das Geld immer noch mit Web 1.0 oder antisozialen Technologien verdient wird. Gibt es bei Google AdSense eine soziale Beziehung zwischen Webseitenbetreiber und dem Werbkunden? Wo bleibt die Verkäufer-Käufer-Beziehung bei Amazon? Und wozu braucht man Geschäftsbeziehungen, wenn es APIs gibt? Seamus McCauley bringt es auf den Punkt:

One of the tricks to understanding the social value of the web is understanding the antisocial value of the web – how much value it delivers by helping us avoid unwanted, intrusive interactions that merely increase psychological transaction costs.

Dieses Verständnis und eine gewisse Skepsis, die der projezierten Entwicklung entgegengebracht werden muss, führen zu einem dreistufigen Modell, wenn es um die Wertschöpfung im Social-Media-Bereich geht. (1) Errichtung einer Antisocial-Infrastruktur (2) Verwertung des User-Added-Values. (3) Entwicklung eines Geschäftsmodells für User-Interaktionen.

Die Antisoziale-Infrastruktur

Google, Ebay und Amazon haben es vorgemacht und Online-Reisebüros, Makler und die Washington Post haben es nachgemacht: Die sozialen Kosten für eine Transaktion werden so gering wie möglich gestaltet. Qoop erstellt einen Flickr Bilderdurckservice per API ohne mit Flickr kontakt aufzunehmen. Über Google AdSense ist die Vermarktung einer Webseite ein rein technischer Vorgang und bedarf keiner sozialen Anstrengung mehr. Und dieses Prinzip wird jetzt auch auf den Print bzw. lokalen Zeitungsmarkt ausgedehnt indem Yahoo! bzw. Google die Technologie liefern, das Soziale aus dem Anzeigenverkauf zu eleminieren. Die Hoffnung dahinter ist eine effektivere Verwertung der Zeitungen und ihrer Inhalte sicher zu stellen.

Das Problem der klassischen Medien, wenn sie in den Social-Media-Bereich vorstoßen, liegt genau in dieser Technologie. Ihnen fehlt meist die Antisoziale-Kompetenz (oder die Technologie). Nur die Washington Post hat bisher gezeigt, wie es gehen kann. Die WP hat nicht einfach blind Blogs in ihren Onlineauftritt integriert sondern gleichzeitig ein Werbenetzwerk für Blogs geschaffen über das sie wiederum auch – aber nicht nur – vom abgegebenen Traffic profitiert. Sie haben also dem Dialog zwischen Zeitung und Bloggern eine Antisoziale-Komponente hinzugefügt, die maßgeblich für den finanziellen Erfolg des Experiments ist. Ebay versucht gerade diese Komponente den Fernsehsendern und großen Mediaagenturen schmackhaft zu machen, indem Werbezeiten online versteigert werden.

Der erste Schritt ist also, dass man auf die zunehmende Fragmentation des Publikums mit einer zunehmenden Technisierung reagiert. Immer bessere Algorithmen, die Werbung an die Inhalte anpassen und immer bessere tiefere Suchen kombiniert mit self-service bzw. automatischen Werbenetzwerke bilden das momentane Rückrat der Social-Media-Anwendungen. Das sind jedoch nur erste Schritte, deren Prinzipien man für die weitere Entwicklung im Hinterkopf behalten sollte, aber die Probleme liegen auf der Hand:

Software can optimize, but it can’t be creative. It can’t carry on “conversations.” That still requires people. And that’s going to require the restructuring — or more like the reinvention — of the entire advertising industry.

Genau diese Rekunstruktion der ganzen Branche sieht auch Rober Young kommen:

I firmly believe it is equally reasonable to assume that a big chunk, if not a majority, of future ad spending will go into online ad models & formats that do not yet exist.

Eben um Ansatzpunkte für diese neuen Modelle geht es nun in den nächsten beiden Punkten.

User-Added-Value

Bevor man über den User-Added-Value reden kann sollte zuerst geklärt sein um was es sich dabei handelt. User-Added-Values sind für mich alle User-Interaktionen vom Bookmarken bis hin zum Abonnieren nach dem Power Law of Participation von Ross Mayfield. Durch das geringe Involvement sollten hier auch die 90/10-Bedenken keine allzugroße Rolle spielen, da die Basis groß genug ist um ordentliche Werte zu erzeugen. Und auch wenn man die schlimmsten Befürchtungen von Nico Flores kommen sieht kann man trotzdem mit ruhigen Gewissen ein Geschäftsmodell erstellen, das auf den User-Added-Values basiert. Worin lliegt nun aber der Wert des User-Added-Values?

Nehmen wir Tags. Prinzipiell sind Tags nicht viel Wert, aber sobald Algorithmen und Automation versagen werden sie zur Goldgrube. Dieses Versagen ist z.B. bei jeder Videosuche zu beobachten. Sucht man bei Blinkx (mit 6 Mio/Std. indizierten Videos mit die größte Videosuchmaschine) nach „Focus TV Lynne“ findet man über 300 Treffer bekommt jedoch trotz relevanz Sortierung das gewünschte Video nicht unter den ersten 30 Treffern. Die selbe Suchanfrage bei YouTube hingegen findet genaue die gesuchten beiden Focus TV Folgen mit Lynne und Tessa. Worin liegt also der Unterschied zwischen Blinkx, die auch YouTube Videos im Index haben und der YouTube Suche? Der einzige Unterschied ist, dass auf YouTube die Videos mit Tags und Beschreibungen von Usern ausgestattet werden, im Gegensatz zur Spracherkennung von Blinkx, die in diesem Fall einfach zu gut ist und dabei unglaublich an relevanz einbüßt.

Man kann den Wert von YouTube Videos trotzdem noch weiter steigern. Ich habe als Beispiel ein neues Katzevideo von der Most-Recent Liste genommen und dieses über Mojiti mit Deeptags versehen. Mojiti bietet im wesentlichen die Features, die ich hier umschrieben habe und arbeitet anscheinend mit Spotrunner zusammen um in nicht allzuferner Zukunft die Tags kommerziell auszuwerten. Das so bearbeitete Video kann dank meiner drei Minuten Arbeit nun von Suchmaschinen auch ohne Spracherkennung, die hier sowieso sinnlos wäre, direkt an der richtigen Stelle angesprungen werden und meine Tags können natürlich per Cost-per-Click Anzeigen oder ähnliches Verwertet werden. Der Wert und die Möglichkeiten der Verwertung des Videos haben sich durch Deeptags exponentiell erhöht. Prinzipiell ist es auch denkbar das der User die Werbung bzw. das Ad-Tag direkt selbst erstellt.

In dieser zweiten Stufe sind es also gerade die kleinen User-Interaktionen – der User-Added-Value -, die den großen Mehrwert erzeugen. Dieser Mehrwert kann wiederum in Erlöse umgewandelt werden, wozu es meist immer noch Anitsozialer-Anwendungen bedarf, die jedoch auf eine soziale Interaktion aufsetzen. Im Idealfall wird der gesamte Prozess jedoch vom User durchgeführt.

Geschäftsmodelle der User-Interaktion

Auf dieses Feld hat mich Hubert immer wieder aufmerksam gemacht und sein lieblings Beispiel ist folgendes:

In mittelguten Jahren liegt Vodafones EBIT gleichauf mit dem kumulierten Umsatz der Musikindustrie. Das Telco-Geschäft ist nichts anderes als User-Generated-Content. (weil reden musst du schon noch selbst).

Der Punkt hierbei ist, dass in der Userinteraktion ein riesiges finanzielles Potential liegt, das momentan noch nicht ausgeschöpft wird.

Was passiert, wenn man für jeden Freund, den man auf MySpace seinem Profil hinzufügt eine Gebühr bezahlen muss? Die Plattform wird mit einem mal sauber! Wo liegt denn der Wert in einem Freundesnetzwerk, das in die Tausende geht? Und die Social Media Optimizier überlegen sich vielleicht ob ein iPod knapp 50 000 Freunde braucht, die bespammt werden können. Eine Gebühr ist natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss und wahrscheinlich auch nicht die Antwort, aber sie regt zu Überlegungen an. Prinzipiell geht es darum:

The elegance of contextually leveraging your social network of users to do deals where you take a piece of another’s business and provide a better user experience is a winning one. There is no stick in the spokes of motion to crash your ride.

Also das Schaffen einer Win-Win-Situation für User und Plattform in der der User die Plattform nutzen kann um ein Geschäft abzuwickeln aus dem die Plattform profitiert. Ein typisches Beispiel für einen sochen Fall ist die Superdistribution, die aus mir unerfindlichen Gründen noch immer nicht sinnvoll in die Tat umgesetzt wurde, oder der von Axel Schmiegelow vorgestellte Viral Social Commerce, der sich durch ein Soziales-Netzwerk verbreitet (das darf dann aber nicht so zugespammt sein, wie YouTube oder MySpace).

Dreistufige Entwicklung

Wir erleben gerade meiner Ansicht nach eine dreistufige Entwicklung. Zuerst versuchen die Social-Media-Dienste über das Anitsoziale bzw. über Technologien Geld zu verdienen. Anschließend entwickeln sie erste Modelle, die aus leichter User-Interaktion (Tagging, Subsciptions, Sortierung usw.) Gewinn schlagen und im dritten Schritt geht es darum den User-Generated-Content und die komplexen User-Interaktionen zu einem Geschäft zu entwickeln.

[tags]social, media, future, business, socialmedia, web 2.0[/tags]


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