Interaktives Fernsehen

Langsam aber sicher wachsen das Internet und das Fernsehen zusammen. Lange Zeit haben die Beiden nebeneinander existiert aber die Entwicklungen der letzten Monate legen nahe, dass wir dieses Jahr einen deutlichen Schritt nach vorne machen, wenn es darum geht Internet und Fernsehen zu verzahnen.

Bis vor Kurzem konnte man zwar live Streams und on-demand Aufzeichnungen des Programms im Netz sehen aber wirklich mit dem Programm interagieren konnte man nicht. Mit Twitter wird zunehmend klar, dass genau das jedoch etwas ist, was die Nutzer durchaus begrüßen. Sie wollen während des Programms bestimmte Szenen kommentieren, Ausschnitte weiterleiten und mit dem Programm direkt interagieren.

Twitter als interaktive TV Plattform

Wie so eine tiefe Verknüpfung aussehen kann hat MTV mit den Video Music Awards vorgemacht. Seit sie damit begonnen haben in 2007 mit Twitter bei den VMAs zu experimentieren sind nicht nur die Einschaltquoten wieder gestiegen sondern auch die Integration von Twitter in das Programm. Es begann 2007 als ein MTV Mitarbeiter auf die Idee kam den Musikstars der Awards Handys mit Twitter zu geben und sie von der Veranstaltung berichten zu lassen. Diese Initiative kam so gut an, dass seitdem MTV jedes Jahr das Twitter Engagement ausgeweitet hat.

Letzte Jahr ist MTV sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Nicht mehr nur die Stars haben getwittert sondern die Tweets des Publikums wurden über eine Visualisierung live in die Sendung aufgenommen. MTV hatte zudem eine Reporterin, die nur über die Nachrichten auf der Plattform berichtete und die Nutzer zu noch mehr Tweets animiert hat, was mit 2,3 Millionen Kurznachrichten während der Show gut funktioniert hat und auch der Quote dienlich war. Mit 11,4 Millionen Zuschauern waren die VMAs 2010 ein Erfolg.

Twitter ist gerade aufgrund seines konstanten Datenstroms der Schnelligkeit und der guten Schnittstellen dafür prädestiniert das Internet ins Fernsehen zu bringen. Ein TV-Programm kann so in Echtzeit Informationen aus dem Netz zur Verfügung stellen, die dem live Szenario der Sendungen gerecht werden. Dass diese Interaktionen des Publikums sich direkt auf das Programm beziehen sieht man in den Analysen von tweetreach zu den Golden Globes. Zum Einen wurden bis zu 3500 Tweets die Minute gemessen und zum Anderen lassen sich die Tweets direkt mit dem Geschehen auf dem Fernseher verbinden. Interessant an dieser Entwicklung ist, dass Twitter die Zuschauer wieder zum linearen Fernsehkonsum animiert. Denn der Austausch mit anderen Zuschauern ist nur in der live Situation möglich on-demand gibt es keine Möglichkeit sich mit anderen zum Programm in Echtzeit zu unterhalten.

Fehlende Metadaten zum TV

Betrachtet man die Twitternutzung wird klar, dass jedoch noch eine Möglichkeit fehlt das Programm mit dem Internet in Echtzeit zu verbinden. Analysen wie die von tweetreach oder Visualisierungen wie die von MTV sind Lösungen für Einzelfälle aber eine generelle Verknüpfung von Programm und Interaktion ist darüber noch nicht möglich. Damit eine solche Verbindung funktionieren kann müsste sowohl die Zeitleiste der einzelnen Sendungen als auch die Programminformationen im Internet verfügbar sein, so dass Tweets und andere Interaktionselemente direkt damit verknüpft werden können. Insbesondere müsste es eine API für Applikationen geben, die es erlaubt einheitlich auf Programme zu verweisen und normalisierte Daten zu den Programmen erhalten und die es gleichzeitig möglich macht alle zu einem Programm erstellten Interaktionen gebündelt auszugeben.

Genau an dieser Stelle ergibt sich in Deutschland ein Problem. Die Sender verwerten ihre Programminformationen sehr aggressiv und haben ein Leistungsschutzrecht auf diese Daten erwirkt. Darüber hinaus sind im Netz so gut wie keine Metadaten zu den TV Sendungen verfügbar, die über den Sendungstitel, Typ und die Start- und Endzeit hinaus gehen. Bilder, Beschreibungen, eine Timeline und sinnvolle Kategorien sind bei den meisten Programmen Fehlanzeige.

Doch gerade gute TV-Metadaten sind enorm wichtig für die weitere Entwicklung, denn EPG-Daten sind die Geolocation-Daten des TVs. Im Moment sind diese Daten noch unter Verschluss und für Programmierer nicht wirklich zugänglich.

Nur um kurz die Tragweite des Vergleichs zu illustrieren. Jeden Tag werden 600 Milliarden Geolocation Datenpunkte generiert. Wenn die EPG-Daten ähnlich wie die Geolocation-Daten zugänglich, abfragbar und verarbeitbar werden, können Applikationen plötzlich den TV-Konsum auf der EPG-Timeline sekundegenau verfolgen und bestimmen. Dann gibt es nicht mehr nur Checkins in Locations sondern Checkins zu Zeiten und Sendungen, die mit dem gesehenen Programm direkt verbunden sind. Aus dieser Verbindung ergäben sich jede Menge Transaktionen, denn jeder Zappvorgang und wahrscheinlich auch jede Aktion auf dem Fernseher würde eine Abfrage an die EPG-Engine bedeuten. Bei der momentanen TV-Nutzung könnten auch hier einige Milliarden Transaktionen pro Tag herauskommen.

Startups tasten sich heran

Einige Startups haben diese Möglichkeiten erkannt und versuchen einen entsprechenden Dienst aufzusetzen. Mediencheckin-Dienste wie GetGlue, Tunerfish und Miso funktionieren ähnlich wie Gowalla und Foursquare nur für TV-Inhalte. Mit diesen mobilen Applikationen können die Nutzer ihren Freunden mitteilen, was sie gerade sehen. Nur haben diese Applikationen ein Problem: während Gowalla und Foursquare auf eine (GPS-)Ortung der jeweiligen Position des Nutzer zurückgreifen können und daraufhin benachbarte Locations vorschlagen fehlt den Mediencheckin-Apps so eine Abfrage. Sie sind immer darauf angewiesen, dass der Nutzer selbst das momentan laufende Programm auswählt und können ihn dabei nicht unterstützen.

Dieses Problem versucht IntoNow zu lösen. Mit ihrer SoundPrint Technologie, die sie aus auditude mitgenommen haben kann die Applikation die Tonspur einer TV-Sendung mit der Datenbank abgleichen und so den Nutzer direkt auf das richtige Programm einchecken. Mit dieser Methode kann IntoNow nicht nur live Inhalte erkennen sondern auch on-demand Inhalte korrekt zuordnen. Ich bin mir relativ sicher, dass der einen oder andere Mediencheckin Diensten relativ zeitnah die SoundPrint Technologie für seine App lizenzieren wird.

Noch interessanter als IntoNow ist das letzte Update von Yahoo! für seine Connected TV Plattform. Mit diesem Update hat Yahoo! eine Möglichkeit für Entwickler eingeführt mit der sie abfragen können welches Programm oder welcher Inhalt gerade auf dem Fernseher abgespielt wird. Die genauen Möglichkeiten der Schnittstelle und wie Yahoo! die Informationen sammelt und zur Verfügung stellt sind noch sehr vage aber die Implikationen sind klar. Entwickler für Yahoo!s Connected TV Plattform könnten kleine Widgets bauen, die immer automatisch ohne weitere Nutzerinteraktion die momentan gesehene Sendung posten und tracken. Es besteht die Hoffnung, dass andere TV-Plattformen sich ein Beispiel an Yahoo! nehmen und ähnliche Schnittstellen für Entwickler zur Verfügung stellen.

TV-Sender sollte eine eigene API anbieten

Diese Entwicklungen zeigen zwei Dinge. Erstens gibt es endlich das lang erwartete interaktive Fernsehen, allerdings in einer Form, die so nicht erwartet wurde, denn es findet nicht auf dem Fernseher statt sondern auf einem zusätzlichen Screen (Laptop, Handy, Tablet). Zweitens wird der Fernsehkonsum durch genaues Tracking deutlich transparenter.

Von diesen Entwicklungen können die TV-Sender stark profitieren, wenn sie versuchen sie für sich zu nutzen. Durch die Interaktion der Zuschauer untereinander und mit dem Programm wird die live Nutzung und die Bindung an das Programm gestärkt. Genau diese Interaktion gilt es zu unterstützen und zu fördern. Des Weiteren könnten die Sender ihre Programminformationen für Entwickler zur Verfügung stellen und so neue Applikationen und Nutzungsformen ermöglichen an die sie selbst nicht gedacht haben. Ähnlich wie Twitter mit der Firehose API könnten entsprechende Modelle dafür sorgen, dass die Sender auf der einen Seite Innovationen rund um die EPG-Daten fördern und auf der anderen Seite nicht leer ausgehen, wenn eines dieser Modell erfolgreich wird. Letztlich würde die Bereitstellung der Informationen ihnen zudem wertvolle Einblicke in die Nutzung ihres Programms geben.

Dieser Beitrag erschien im Rahmen der Gugel-Kolumne für das Blog des eVideo-Projektes der HTW Berlin. eVideo beschäftigt sich in ESF-geförderten, informalisierten Weiterbildungskursen mit verschiedenen Themen, um die Durchschlagskraft des Web 2.0 für die moderne Kommunikation zu erkunden.


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