Sprachsteuerung: TV-Programm auf Zuruf fördert die Disaggregation

TV-Sender verlieren an Bedeutung. Programmhighlights gewinnen weiter an Wert. Durchschnittliche Sendungen und der Rest verlieren und werden fast bedeutungslos. Die Disaggregation des TV-Programms könnte massive Auswirkungen auf die TV-Unternehmen haben, da sie die Mischkalkulation – gelegentliche Highlights zusammengehalten von viel Füllmaterial und Standardprogrammen – gefährdet. Bis jetzt haben die Fernsehsender erfolgreich eine Disaggregation verhindert indem sie den Zugang zu ihren Inhalten kontrollieren und nur behutsame Experimente im Netz unternehmen. Diese Strategie droht zu scheitern, denn Sprachsteuerung, Suche und Apps werden TV-Programme aus ihrem linearen Kontext reisen.

Wenn es einen Effekt gibt, den das Internet bis jetzt auf alle Medienbranchen hatte, dann ist es die Dissaggregation einhergehend mit einem Unbundling. Das bedeutet direkter Zugang zu fast unendlich vielen Inhalten jederzeit und überall. Die Musikindustrie hat den Übergang vom Album zum einzelnen Songdownload und nun zum Streaming erlebt und die TV-Sender werden den Übergang vom linearen Programm zum Video erleben. Dieser Übergang ist ein Prozess, der sicher nicht über Nacht passieren wird, doch er könnte von einer unerwarteten Seite beschleunigt werden, die außerhalb der Kontrolle der Sender liegt. Neue Interaktionskonzepte für Fernseher dank Sprachsteuerung, Suche und Apps bevorzugen das Programm vor dem Sender.

Sprache als Fernbedienung

In letzter Zeit wird viel darüber spekuliert, dass Apple einen eigenen Fernseher auf den Markt bringt und versucht den iPhone Erfolg auf dem TV-Markt zu wiederholen. Während über die Strategie und das Launchdatum verschiedenste Meinungen existieren sind sich die meisten Experten einig, dass Apple Siri als Sprachsteuerung auf den Fernseher bringen wird und das könnte massive Auswirkungen auf die TV-Sender haben.

Eine Sprachsteuerung bedeutet im ersten Schritt Zugriff auf beliebige Sender losgelöst von Programmplätzen „Siri – RTL“. Im nächsten Schritt können die Nutzer aber auch genauso einfach auf einzelne Programme zugreifen „Siri – X-Factor“ und müssen nicht einmal mehr wissen auf welchem Sender das Programm läuft. Besitzt der Fernseher einen Festplattenrecorder, dann spielt selbst die Sendezeit bei dieser Anfrage keine Rolle. In einem letzten Schritt eröffnet die Sprachsteuerung natürlich auch den Zugang zu ganz anderen Inhalten als den klassischen TV-Programmen. YouTube- und Internet-Inhalte – Siri – Clixoom– stehen damit auf einer Stufe mit den TV-Inhalten und -Sendern. Das Schöne an dieser neuen Logik ist, dass der Wettbewerb plötzlich auf einer Inhaltsebene stattfindet und nicht mehr auf Regulierungsebene wo es um Sendelizenzen und Programmplätze geht.

Suche als Fernbedienung

Google hatte etwas ähnliches im Sinn als es 2010 Google TV einführte. Nur sollte bei Google TV die Suchmaske diese Aufgabe übernehmen. Mittlerweile wurde die Suche zwar etwas dezenter gestaltet und steht nicht mehr so im Mittelpunkt des Produkts, doch die Intention und die Herangehensweise bleibt bestehen. Über eine Suchmaske lassen sich beliebige Video-Inhalte finden, die nicht zwangsläufig an einen TV-Sender gekoppelt sein müssen.

Auch Microsoft geht bei der XBox live und der Kinect so vor. Wird dort nach Bewegtbildern gesucht wird im Ergebnis nicht nach Quellen unterschieden. So stehen Video-on-Demand-Inhalte neben Videos aus Apps neben TV-Inhalten aus dem live Programm. Verfügen also Fernseher in Zukunft über eine Suchmaske ist davon auszugehen, dass die Nutzer nicht nach Sendern sondern nach Inhalten suchen werden und diese dann ohne direkte Referenz auf den zugehörigen Sender angezeigt bekommen.

Smartphones und Tablets als Fernbedienung

Neben der Logik, die direkt in den Fernseher implementiert wird, bieten sich Smartphones und Tablets für die Auswahl von Inhalten auf dem Fernseher an. Noch erinnern die meisten Apps der Fernsehhersteller an die klassischen Fernbedienungen, doch die ersten Hersteller beginnen damit EPGs in ihre iPad-Apps zu integrieren. Spannender sind jedoch die Schnittstellen, die die Hersteller bereitstellen. Über die jeweiligen SDKs können App-Entwickler selbst den Fernseher fernsteuern und zum Umschalten bewegen. ZeeBox kann mit seinem neuen Service bereits einige Set-Top-Boxen fernsteuern und weitere sollen folgen.

Letzten Endes wird es in nicht allzu ferner Zukunft darauf hinauslaufen, dass mehr oder weniger jede Web-Applikation den heimischen Fernseher fernsteuern kann. Angesichts von über 50% Parallelnutzung von Internet und Fernsehen in Deutschland wird in Zukunft über den Browser, das Smartphone oder das iPad entschieden werden was auf dem Fernseher läuft. Schlaue Applikationen, die sich darauf spezialisieren den Nutzern Programmempfehlungen zu bieten, beeinflussen dann die Programmwahl – klassische TV-Guides werden nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.

Sendungen gewinnen an Gewicht – TV-Sender suchen nach ihrer Rolle

Diese Entwicklung, die Maßgeblich von der Geräteindustrie vorangetrieben wird, erlaubt Nutzern den einfacheren Zugriff auf Inhalte über alle Quellen hinweg. Dabei gewinnen Programmmarken oder Sendungstitel an Bedeutung, da sich diese besser in die neuen Interaktions- und Navigationskonzepte integrieren lassen. Zudem werden alternative Inhalte mit dem linearen TV gleichgestellt. Sender wiederum bieten in diesem Kontext für die Navigation nur noch bedingt einen Mehrwert.

Der vereinfachte Zugriff auf die verschiedenste Inhalte über Sprachsteuerung, Suche und Apps losgelöst vom Programmschema forciert die Dissaggregation des linearen Programms. Das muss jedoch nicht zwangsläufig zu einem Problem der TV-Sender werden. Noch haben sie genügend Zeit um Antworten auf diese Herausforderung zu finden und sich über Audienceflows in on demand Umgebungen Gedanken zu machen genauso wie sie sich überlegen können wie sie ihre Programmmarken so stärken, dass sie von Nutzern abgerufen werden. Auch die Mischkalkulation kann noch überdacht werden oder die Sender finden neue Wege um Zuschauer unweigerlich mit ihrem Programm in Kontakt zu bringen.


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