Social TV

Fernsehen als soziales Erlebnis ist im offline Kontext eine Selbstverständlichkeit, der Watercooler-Effekt und die Lagerfeueratmosphäre werden zurecht immer wieder als Besonderheiten des Mediums zitiert. Ausgehend von diesen Phänomenen ergeben sich viele Anknüpfungspunkte um das TV-Erlebnis auch im Netz sozialer zu gestalten indem die vorhandenen Social Graphen genutzt werden und gleichzeitig neue Verbindungen hinzugefügt werden. Die Ansatzpunkte die sich diesem Problem widmen und zu Social TV im Netz führen lassen sich grob in vier Bereiche gliedern: Programmauswahl, Interaktivität, sozialer Kontext (aka Lagerfeuer) und Distribution.

Programmauswahl

Es gibt verschiedene Ansätze, die versuchen das TV-Programm relevanter für den Nutzer zu gestalten indem sie verschiedene Social Media Quellen integrieren. SocialGuide rankt Shows und Sendern nach den Social Media Interaktionen der Nutzer. Das Ergebnis sind Programmlisten, die nach Häufigkeit der Interaktion gerankt sind und so dem Nutzer einen anderen Zugang zum TV-Programm versprechen. Um dieses Ergebnis zu erhalten hat SocialGuide im Juli über 10 Millionen Kommentare zu TV-Shows auf den verschiedenen Plattformen wie Facebook und Twitter getrackt.

Einen personalisierten Ansatz verfolgt Clicker. Das von CBS für $50-100 Millionen gekaufte Startup nutzt Facebook Connect dazu seinen Nutzern TV-Inhalte zu empfehlen, die sich aus den Präferenzen der Freunde bedienen. Daraus entsteht ein personalisiertes TV-Programm für jeden Nutzer, das aus Internet und TV-Inhalten besteht. Ähnliche Ansätze verfolgen auch die VodPod-Macher mit ihrer iPad App ShowYou. In dieser App werden alle Videos, die Freunde auf Facebook, Twitter oder VodPod sharen zusammengefasst. Der Weg von dort hin zu einer sinnvollen Erweiterung um TV-Inhalte ist nicht mehr weit. Auch Boxee möchte die Programmauswahl mit seiner iPad App neu definieren und bietet deshalb ein sehr ähnliches Spektrum wie ShowYou.

Neben diesen Anwendungen könnte auch Facebook selbst sich in diesem Feld breitmachen, wenn die Bemühungen von Christian Hernandez Gallardo, Head of International Business Development bei Facebook, Früchte tragen:

We’ve talked to broadcasters about putting their whole EPG as events on Facebook, and letting people RSVP to them to get a reminder.

Die Ansätze zeigen, wie breit das Spektrum ist von Crowdsourcing über Personalisierung bis hin zur Aggregation von gesharten Inhalten bieten sich viele Möglichkeiten die Programmauswahl durch ein soziales Element neu zu gestalten.

Interaktivität

In dieser Kategorie ist die Integration von Social Web Elementen bereits am weitesten fortgeschritten. Twitter als Treiber ist mittlerweile aus dem Fernsehen nicht mehr wegzudenken, denn die Sender haben erkannt, dass sie über Twitter ihre live Programme gegenüber der ondemand Nutzung aufwerten können – Interaktion macht nur im live Szenario Sinn.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass viele Sender Hashtags ins Bild aufnehmen. Dies kann das Tweetvolumen um das zwei- bis zehnfache steigern. Des Weiteren haben die Sender Twitter als Quelle für Nutzermeinungen entdeckt und binden Tweets munter in Nachrichten und Shows ein. Damit die Sender mit Tweets nicht genauso umgehen, wie mit YouTube Videos, die mit Quelle: YouTube gesendet werden, hat Twitter Richtlinien erstellt. Darin wird erklärt, wie Tweets und Inhalte im Fernsehen korrekt eingebunden werden können.

Allerdings schießen manchmal die Redaktionen etwas über das Ziel hinaus. Jon Stewart zeigt in der Daily Show einige Stilblüten, die jeden daran erinnern sollten, dass Tweets im live Programm kein Selbstzweck sind.

Welche weiteren Startups und Entwicklungen es rund um interaktives Fernsehen gibt findet sich in diesem Artikel.

Sozialer Kontext

Wenn es darum geht im Netz die Lagerfeueratmosphäre für ondemand Inhalte herzustellen, wird es bereits schwieriger. Die Couch im Wohnzimmer mit ein paar Freunden lässt sich nicht ohne weiteres ins Netz verlagern – schon gar nicht immer dann wenn der Nutzer gerade Lust dazu hat. Nichtsdestotrotz gibt es einige Ansätze, die genau das versuchen.

Chill synchronisiert YouTube Videos, so dass mehrere Nutzer gleichzeitig dasselbe Video sehen. Dabei setzt das Startup auf ein ähnliches Prinzip wie Turntable.FM. Bei Chill können einzelne User den VJ in Lounges spielen und Videos von YouTube vorschlagen, die sie dann gemeinsam mit anderen ansehen und sich über einen Chat dazu austauschen. Zudem existieren ein einfaches Bewertungssystem und ein Kinosaal in dem die Nutzer abgestellt werden.

Einen Schritt weiter zur Couch geht Google mit Hangout. Dort können sich die Nutzer nicht nur spontan zu einer Videokonferenz zusammenschalten sondern über einen kleinen Umweg auch gemeinsam YouTube Videos und Livestreams ansehen. Einige Musiker haben bereits mit Hangout experimentiert um darüber Konzerte live zu streamen in dem die Nutzer das Signal einfach immer weiter verbreiten um so die Hangout-Grenze von 10 Teilnehmern zu umgehen. Wer daran teilnehmen möchte um es zu erleben findet auf Hangoutparty den nächsten Termin.

Hangout und Chill demonstrieren wie eine Lagerfeuerstimmung auch im Netz aufkommen könnte: entweder über Avatare oder über Videopräsenz lässt sich die Anwesenheit anderer Personen simulieren. Das deutlich interessantere an diesen Diensten ist jedoch, dass sie Adhoc Communities rund um den Inhalt schaffen, die nicht unbedingt an Freundesbeziehungen sondern viel mehr an den Inhalt geknüpft sind. Sie werten Inhalte allein dadurch auf, dass der Inhalt gleichzeitig von andere Zuschauern gesehen wird und dem Nutzer dies bewusst gemacht wird (ähnlich wie man eher ein gut besuchtes Restaurant auswählt als ein leeres).

Distribution

Wenn es um die Verbreitung von TV-Inhalten über Social Media geht sollte man eigentlich meinen, dass dies eine klare Angelegenheit ist. TV ist ein attraktiver emotionaler Inhalt mit dem Nutzer live Interagieren, die Verbreitung sollte also fast von allein vonstatten gehen. Trotzdem zeigt ein kurzer Vergleich von sozialen Interaktionen Rund um TV-Inhalte (mit Trendrr) und YouTube Videos (mit Unrulymedia) erstaunliches.

Die Top-YouTube Videos erzielen zum Teil eine bessere Reichweite in Social Networks als dies die TV-Inhalte tun. Vor allem Blogs und Facebook sind bei YouTube Videos deutlich stärker vertreten als bei den TV Shows. Natürlich ist es ein wenig Äpfel mit Birnen verglichen, ich bin jedoch der Meinung, dass TV-Shows hier deutlich unter ihrem Potential bleiben. Sie könnten, was die Distribution über Social Media anbelangt, eine deutlich breitere Verbreitung erreichen als sie es momentan tun. Allein die Tatsache, dass so gut wie kein Tweet über eine TV-Sendung auch einen Link zu dieser beinhaltet spricht Bände. Ein Tweet zu einem YouTube Video ohne Link zu YouTube ist hingegen undenkbar.

Das Problem könnte darin liegen, dass die TV-Inhalte nicht (einfach) verlinkbar oder die Inhalte zu fragmentiert sind. Worauf sollen die Nutzer verlinken? Auf die Programmankündigung, die Showseite oder doch lieber auf das eventuell vorhandene Video in der Mediathek?

Während es für die anderen Bereiche viele Startups gibt, die versuchen die Probleme zu lösen liegt der Ball bei der Distribution bei den Sendern. Doch die sind eher damit beschäftigt die Piraterie vor dem Aussterben zu bewahren indem sie wie Fox ihre Inhalte hinter Paywalls verstecken als zu versuchen ihre Inhalte möglichst weit zu verbreiten.

Social TV

Um das Fernseherlebnis im Netz wirklich sozial zu gestalten und sowohl den Watercooler Effekt als auch die Lagerfeueratmosphäre zu transportieren müssen die vier Bereiche zusammenarbeiten. Idealerweise hilft ein personalisierte Programmführer, den Nutzern bei der Auswahl der Inhalte. Während des Konsums wird der soziale Kontext durch die Simultanität hergestellt – auch wenn das Video ondemand gesehen wird – und natürlich können die Nutzer dabei mit anderen Zuschauern interagieren. Letztlich wird es spannend werden ob sich Plattformen wie Facebook, Google+ oder Twitter weiterentwickelt um alle diese Bedürfnisse zu befriedigen oder ob sich für jeden Bereich separate Lösungen etablieren werden, die lediglich Basisdaten von den großen Plattformen beziehen.

Dieser Beitrag erschien im Rahmen der Gugel-Kolumne für das Blog des eVideo-Projektes der HTW Berlin. eVideo beschäftigt sich in ESF-geförderten, informalisierten Weiterbildungskursen mit verschiedenen Themen, um die Durchschlagskraft des Web 2.0 für die moderne Kommunikation zu erkunden.


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