Rahmenbedingungen einer deutschen TV-Plattform

Im Juli hatte Martin auf Netzwertig das sehnsuchtsvolle Warten auf ein europäisches Hulu thematisiert. So langsam zeichnet es sich ab, dass das Warten bald ein Ende haben könnte. Im August gaben ProSiebenSat.1 und RTL bekannt, dass sie eine zentrale TV-Plattform planen. Die Plattform soll allen Sendern offen und durch ein neues Joint Venture der beiden Konzerne betrieben werden. Dabei konzentriert sich das Projekt auf den technischen Betrieb der Plattform. Die Redaktion und Vermarktung der Inhalte verbleibt bei den Sendern. Ob die Pläne umgesetzt werden hängt hauptsächlich von der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission ab, die den Zusammenschluss gerade prüft (Experten vermuten eine Zustimmung).

Neben den Bemühungen der privaten Sender wurden nun auch Pläne des ZDFs bekannt, das ebenfalls eine TV-Plattform anstrebt und dazu mit der Allianz Deutscher Produzenten kooperieren möchte. Angesichts diese Anstrengungen bietet es sich an die Verhältnisse auf dem deutschen Videomarkt näher zu betrachten. Vor allem stellt sich für mich die Frage, ob es sinnvoll ist, dass sich das ZDF und die Privaten getrennt darum bemühen vergleichbare Plattformen aufzubauen.

Marktumfeld und Konkurrenz

Die deutschen Internetuser lieben Videos. Ich kenne kein anderes Land in dem so lange Videos im Netz gesehen werden. 42,7 Millionen (+24% YoY) Internetnutzer konsumieren laut Comscore über 9 Milliarden Videos im Netz (Stand Juli 2010). Das besondere an der Situation in Deutschland ist, dass die Nutzungsdauer extrem hoch ist. Durchschnittlich werden pro Monat 1106 Minuten Video gesehen was 36 Minuten pro Tag entspricht. Zum Vergleich dieser Wert lag in den USA im August bei 860 Minuten.
video_zuschauer_deutschland

Betrachtet man die Anbieter auf dem deutschen Markt genauer, dann sind es vor allem YouTube und Megavideo, die einem deutschen Hulu Konkurrenz machen. YouTube konnte in den letzten Jahren seine Position in Deutschland kontinuierlich ausbauen und ist mit über 50% Marktanteil klarer Marktführer sowohl bei den Videoabrufen als auch bei den Zuschauern. Gegen diese Dominanz gilt es sich zu positionieren.

Neben dezidierten Videoseiten bestehen die Top 10 in Deutschland hauptsächlich aus Portalen (MSN, Yahoo!), Nachrichtenseiten (BILD, T-Online) und Facebook. Facebook weist auch in Deutschland ein rasantes Wachstum im Videobereich auf, allerdings bleibt abzuwarten, wie dieses Asset weiter entwickelt wird. Im Moment handelt es sich bei den Videos auf Facebook noch hauptsächlich um Urlaubsaufnahmen und Schnappschüsse.

Bereinigt man die Entwicklung um YouTube wird schnell klar, warum eine deutsche TV Plattform dringend notwendig ist.

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Die TV Sender schaffen es nicht mehr mit ihren Videoportalen (Clipfish und MyVideo) und Webseiten zu wachsen und das obwohl der Gesamtmarkt um 24% gewachsen ist. Diesen Missstand gilt es schnellst möglich abzustellen. Der Platz zwischen Megavideo und YouTube dürfte in den kommenden Monaten nur noch unangenehmer für die existierenden Angebote der Sender werden, da sie mit ihren Produkten gegen keines der beiden Angebote wirklich konkurrenzfähig sind. Megavideo hat alle TV-Inhalte und YouTube alle Videos, das Angebot der Sender ist ein Mix, der sie im Niemandsland zwischen den beiden Extremen platziert. Die größte Chance Zuschauer zu binden und zu gewinnen hat deshalb in der Tat eine neue TV-Plattform, die nicht den existierenden Senderzwängen unterliegt und sich klar als solche platziert.

Nutzerakzeptanz

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Die Nachfrage nach TV-Inhalte im Netz ist groß. Megavideo und Kino.to sind dafür gute Indikatoren. Da Megavideo über keine Längenbeschränkung der Videos verfügt und zudem auch keine so rigorosen Contentfilter wie YouTube einsetzt, finden sich auf der Seite die meisten TV-Serien direkt zum Ansehen im Browser. Die Nutzungszahlen von Megavideo zeigen dementsprechend deutlich, dass User bereit sind für TV-Inhalte im Netz:

  • Auf Megavideo wurden im Juli 232 Millionen Videos abgerufen. Das sind mehr als auf den ProSiebenSat.1- (109m) und den RTL-Seiten zusammen (56m).
  • Die durchschnittliche Sehdauer pro Video lag bei Megavideo bei 19 Minuten, was ein klares Indiz für Fernsehinhalte ist. Eine Simpsons Folge dauert ohne Werbung zum Beispiel genau 20 Minuten.
  • Megavideo hatte mit 776 Minuten pro Zuschauer im Juli zudem die längste Nutzungsdauer pro User aller Videoangebote.

Da TV-Inhalte oftmals bei One-Click Hostern hochgeladen werden, die keinen Index der Inhalte bereitstellen, erfreuen sich Katalogseiten wie Kino.to und SideReel großer Beliebtheit. Gerade wenn man Sidereel und Kino.to vergleicht fällt auf, wie sehr eine deutsche TV-Plattform fehlt.

sidereel_vs_kinoto

Kino.to und Sidereel bieten beide umfangreiche Linkliste zu TV-Serien und Filmen bei verschiedensten One-Click-Hostern. Während Sidreel das englischsprachige Internet bedient, richtet sich Kino.to an das deutschsprachige Internet. Vergleicht man jedoch den weltweiten Traffic der beiden Seiten zeigt sich, dass Kino.to deutlich mehr Traffic hat, was angesichts der Sprachverteilung sehr überraschend ist. Meine Vermutung ist, dass Kino.to von der fehlenden deutschen Konkurrenz profitiert während sich Sidereel gegenüber Hulu und Netflix behaupten muss. Darin liegt meiner Meinung nach das enormes Potential für eine deutsche TV-Plattform. Sie könnte sowohl Megavideo als auch Kino.to einen Großteil der deutschen Nutzer abwerben.

Zeitpunkt

Wann wenn nicht jetzt? Nachdem klar ist, dass MyVideo und Clipfish nicht mit YouTube mithalten können und die Senderwebseiten stagnieren müssen sich die TV-Sender etwas einfallen lassen, wenn sie im Internet nicht abgehängt werden wollen. YouTube mach keine Anstalten langsamer zu wachsen und die Konkurrenz durch Megavideo und Facebook wird nur noch stärker werden. Es wird nicht mehr lange dauern und diese beiden werden die TV-Sender auch bei den Unique Viewern überholen. Außerdem versuchen Vevo, Axel Springer und die großen deutschen Portale (MSN, Yahoo!, T-Online, Web.de) ein Stück vom Videokuchen abzubekommen.

Neben der existierenden Konkurrenz besteht zudem noch die Gefahr, dass Hulu und/oder Netflix ihre Dienste nach Deutschland bringen. Netflix hat gerade erst nach Kanada expandiert und wird sich sicher nicht den zweitgrößten Fernsehmarkt der Welt entgehen lassen. Somit wäre etwas Vorsprung vor der großen US-Konkurrenz durchaus wünschenswert. Jeder Monat der ohne eine deutsche TV-Plattform vergeht lässt die Chancen für den Erfolg eines deutschen Angebots schwinden und spielt den US-Unternehmen Google, Netflix und Hulu in die Finger.

Fazit

Die Nachfrage und die Bereitschaft der User für eine deutsche TV-Plattform sind definitiv vorhanden, was fehlt ist das richtige Angebot. Momentan ist es noch zu früh um zu entschieden ob die Projekte von Erfolg gekrönt sind. Als vor etwas mehr als drei Jahren bekannt wurde, dass News Corp und NBC Universal an Hulu arbeiten wurde das Joint Venture noch vor dem Start zur Totgeburt erklärt. Namen wie „Clown Co“ grassierten damals für das Projekt. Das zeigt, dass ein solches Unterfangen definitiv kein Selbstläufer ist, denn trotz des gut bestellten Bodens gibt es mehr als genug Fallstricke. Marktfragmentierung ist sicherlich einer davon. Die getrennten Initiativen vom ZDF und P7S1&RTL sind für mich deshalb das falsche Signal und lassen Zweifel an beiden Unterfangen aufkommen.

Wie man weitere Fallstricke vermeiden kann werde ich im nächsten Beitrag besprechen.

Dieser Beitrag erschien im Rahmen der Gugel-Kolumne für das Blog des eVideo-Projektes der HTW Berlin. eVideo beschäftigt sich in ESF-geförderten, informalisierten Weiterbildungskursen mit verschiedenen Themen, um die Durchschlagskraft des Web 2.0 für die moderne Kommunikation zu erkunden.


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