Erfolgsfaktoren einer deutschen TV-Plattform

Der deutsche Markt ist bereit für eine TV-Plattform, dennoch bleiben viele Herausforderungen, die gemeistert werden müssen um ein solches Angebot erfolgreich zu etablieren. Natürlich gehören dazu die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen aber auch das Produkt muss stimmen um erfolgreich zu sein. Hier ein paar Merkmale und Hinweise, die sich aus meiner Sicht als Erfolgsfaktoren erweisen könnten.

Keine Beta – die Basics müssen perfekt sein

Obwohl im Web 2.0 mit dem konstanten Betalabel viele gute Erfahrungen gemacht wurden hat die TV-Plattform den Luxus des Herumprobierens nicht. Im Jahr 2010 gehört gutes Videoplayback zum Standard Repertoire jeder größeren Webseite. Auch viele andere technologische Herausforderungen wie die Werbeauslieferung etc. wurden mittlerweile gelöst, so dass es keine Ausrede dafür gibt technisch nicht mindestens State of the Art zu sein.

Es geht bei der ersten Version weniger darum alle Features, die es am Markt gibt, zu integrieren als viel mehr darum die absolut notwendigen Features perfekt umzusetzen. Zu diesen Kernfeatures gehören: Videoseiten, Videoplayer, Videoplayback und Werbeintegration. Alles andere kann später integriert werden und dabei sollte auch experimentiert werden.

Schnelle Weiterentwicklung

Nachdem die Plattform gestartet wurde, beginnt die eigentliche Arbeit. Dann gilt es das Angebot zu verfeinern, zu adaptieren und weiterzuentwickeln. Es funktioniert nicht wie z.B. bei MyVideo die initiale Entwicklung nach Rumänien auszulagern und sich nachdem man ein Publikum angezogen hat auf den Lorbeeren auszuruhen. Die Quittung für den technischen Stillstand erhalten MyVideo und Clipfish im Moment.

Die Nutzer erwarten eine konstante Weiterentwicklung der Plattform die man am besten durch inhouse Entwickler gewährleistet. Nicht umsonst hat Hulu die Video-Technologie nicht gemietet sondern erworben und dann konstant weiterentwickelt. Durch den Kauf der Videotechnolgie von thePlatform konnte Hulu zum einen sehr schnell eine gute Videoplattform aufbauen und zum anderen nach dem Launch eigenständig über die Weiterentwicklung entscheiden.

Fokus auf die Technologie

ProSiebenSat.1 und RTL haben es in ihrer Pressemitteilung angedeutet, dass sich ihr Joint Venture auf die Technologie fokussieren soll. Genau diesen Fokus muss eine solche Plattform auch haben. Es geht zuerst darum das Ausspiel von TV-Inhalten im Internet gebündelt an einem Ort und für ein großes Publikum sicherzustellen. Vermarktung, Contentakquise und weitere inhaltliche Aspekte sollten erst angegangen werden wenn die technologische Basis stimmt. Der Fokus auf die Technologie heißt auch, dass sich eine TV-Plattform nicht einfach nur eine Whitelabel Lösung von Brightcove, Ooyala und Co. mieten kann. Genau diese Anbieter sind die Konkurrenz und müssen durch die eigene Lösung übertroffen werden.

Ein Problem der TV-Sender lösen

Dass eine TV-Plattform ein Problem der deutschen Internetnutzer löst zeigen die Zahlen im letzten Post. Allein die Zuschauer sind nicht genug, die Plattform muss auch für die Content-Produzenten und -Inhaber attraktiv sein und für diese ein Problem lösen. Dazu sollte die Plattform den TV-Sendern eine umfassende Lösung für Bewegtbild im Internet anbieten. Idealerweise werden Inhalte einmal in die TV-Plattform geladen und anschließend muss sich der Sender keine Gedanken mehr zu Traffickosten, Streaming, Syndikation etc. machen. All diese Probleme werden für ihn gelöst.

Letzten Endes sind TV-Sender keine Technologie-Unternehmen, ihre Kernkompetenzen liegen in anderen Feldern. Deshalb wäre eine Arbeitsteilung hier sehr sinnvoll. Neben der Fokussierung auf die Technologie kann eine TV-Plattform enorme Netzwerkeffekte erzielen. So muss nicht mehr jeder Sender selbst eine Streaminglösung entwickeln. Auch beim Traffic-Einkauf lassen sich Netzwerkeffekte erzielen indem die Plattform den Traffic der einzelnen Sender bündelt. Gleiches gilt natürlich auch beim Hosting und der Technologie.

Netflix mit Streamingkosten von unter einem Cent pro ausgeliefertem Film hat die Messlatte definiert, von diesen Preisen können die deutschen Anbieter im Moment nur träumen. Mit einer einheitliche TV-Plattform könnten die Sender hingegen in einen ähnlichen Bereich vorstoßen.

Syndikation: Partner, Partner, Partner

Natürlich sollte das Zeil einer TV-Plattform sein möglichst viele Besucher auf die eigene Seite zu leiten. Doch das sollte nicht alles sein. Über geschickte Syndikation lassen sich deutlich mehr Zuschauer erreichen und vor allem günstig und einfach neue Besucher gewinnen. Deshalb ist es wichtig eine ausgefeilte Partnerstrategie umzusetzen, die sowohl der Plattform als auch den Partnern zuträglich ist.

Idealerweise setzen alle beteiligten TV-Sender auf ihren eigenen Webseiten ebenfalls die Technologie der TV-Plattform ein. Die Player und die Experience kann dazu natürlich voll an die Bedürfnisse der jeweiligen Sender angepasst werden. Die Technologie sollte jedoch in allen Fällen von der TV-Plattform bereitgestellt werden, die auch den Mastersatz an Metadaten, Business-Rules etc. verwalten sollte.

Neben diesen Partnerschaften sollten auch Reichweitenpartnerschaften forciert werden. Hulu hat dies eindrucksvoll mit Partnern wie Fancast, AOL, MSN, MySpace und Yahoo! demonstriert. Durch einen Revenue-Share (20%) mit diesen Reichweitenpartnern konnte Hulu vor allem in der Anfangszeit deutlich mehr User erreichen als dies über die eigene Seite möglich gewesen wäre. In Deutschland bieten sich als Reichweitenpartner vor allem Portale (Web.de, GMX.de, AOL, MSN, T-Online) und große Nachrichtenseiten (SPON, BILD) an.

Schnelle und unabhängige Entscheidungen treffen

Um eine TV-Plattform umzusetzen bedarf es erstens des Commitments der Contentpartner und zweitens die Fähigkeit unabhängig und schnell Entscheidungen zu treffen. Die Kunst ist dabei das Commitment zu bekommen ohne dabei Handlungsunfähig zu werden. Mit jedem weiteren Partner potenziert sich die Komplexität, so dass am Ende nicht mehr viel von einem eigenständigen Service übrig bleibt, wenn die TV-Plattform anfängt Handlungsspielraum aufzugeben.

Die TV-Plattform muss in der Lage sein schnelle und unabhängige Entscheidungen zu treffen. Nur so kann sie auf die vielfältigen technologischen Neuerungen adäquat reagieren und zum Beispiel zeitnah einen Dienst für das iPad entwickeln oder eine Adaption für GoogleTV.

Userexperience

Betrachtet man die Userexperience auf ProSieben.de wird einem schnell klar, dass dort der Umsatz maximiert werden soll und nicht das Nutzererlebnis.

Die TV-Plattform sollte vor allem in den ersten Jahren alles daran setzen genau dies nicht zu tun sondern zuerst die Userexperience zu optimieren und in einem zweiten Schritt im Einklang mit den Nutzern die Umsätze. Es gibt viele Ansätze wie man die Pre-Roll Schlacht von ProSieben.de vermeiden kann. Hulu hat einige davon vorgemacht. 1) Die Nutzer wählen den Werbespot aus, den sie sehen möchten. 2) Die Nutzer können bestimmen wann sie Werbung sehen wollen (am Anfang oder während der Episode). 3) Nutzer beantworten demographische Fragen statt Werbung zu sehen. 4) Die Nutzer werden mit einem angemessenen Maß an Werbung konfrontiert etc.

Neben der Werbung gilt es vor allem das Videoabspiel zu optimieren. Ruckler und lange Ladezeiten sind nicht akzeptabel. Auch sollte darauf geachtet werden die Videostreams in einer guten Qualität (min. 480p) bereitzustellen. Auch der Jugendschutz sollte gründlich Überdacht werden. Die Praxis der Öffentlich Rechtlichen Inhalte über 16 Jahre nur zwischen 22 und 6 Uhr Morgens verfügbar zu machen ist antiquiert („Diese Sendung ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet. Der Clip ist deshalb nur von 22 bis 6 Uhr verfügbar.“). In einer on-demand Welt kann man dieses Problem deutlich eleganter lösen statt einfach das TV-Modell auf das Netz zu übertragen.

Passt die Videoexperience kann sich die Plattform daran machen die Inhalte sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Dabei gilt es die Nutzer ähnlich wie im TV Programm zu anderen Inhalten zu führen und sie möglichst lange auf der Seite zu halten und zu weiterem Konsum anzuregen. Der Audience Flow spielt dabei auch im Web eine entscheidende Rolle.

Fazit

Im Spannungsfeld von Werbekunden, Senderinteressen und Content-Inhaber sollte sich die TV-Plattform konsequent auf die Seite der Nutzer schlagen. Letzten Endes sind es die Nutzer, die über den Erfolg und Misserfolg entscheiden weshalb alles daran gesetzt werden sollten den Nutzerinteressen Rechnung zu tragen.

Wohin es führt, wenn die Plattform zusehr auf die jeweiligen Interessen der anderen Stakeholder eingeht sieht man ebenfalls an Hulu. Da wird der Zugang zu Hulu als Druckmittel in Senderverhandlungen eingesetzt und der Zugang zur Seite auf neuen Plattformen wie Boxee und GoogleTV verhindert. Diese Politik werden die Nutzer nicht lange mitmachen. Es gilt stets im Kopf zu behalten, dass die eigentliche Konkurrenz nicht andere legale Angebote sind sondern Dienste wie Sidereel, Kino.to und Megavideo, die allesamt nicht diese Einschränkungen haben.

Für eine deutsche TV-Plattform gilt es des Weiteren im nächsten Jahr auf den Markt zu kommen ansonsten könnte sich das Fenster für eine deutsche Lösung sehr schnell schließen. Netflix hat gerade bekannt gegeben, dass sie bis zu $50 Millionen im nächsten Jahr in die internationale Expansion investieren wollen. Welcher Markt läge da näher als der zweitgrößte Fernsehmarkt der Welt?

Dieser Beitrag erschien im Rahmen der Gugel-Kolumne für das Blog des eVideo-Projektes der HTW Berlin. eVideo beschäftigt sich in ESF-geförderten, informalisierten Weiterbildungskursen mit verschiedenen Themen, um die Durchschlagskraft des Web 2.0 für die moderne Kommunikation zu erkunden.


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