Videoökonomie: Analyse und Planung

Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der monatlichen Gugel-Kolumne für das Blog des eVideo Projekts der FHTW Berlin.

Die Überlegungen zum Videowerbemarkt zeigen, dass es im Internet auch im Videobereich Tendenzen zu einer starken Konzentration gibt. Allerdings geht daraus noch nicht hervor, was dies im Einzelfall für die Produktion und das Geschäft mit Videos im Internet bedeutet. Während im Fernsehen gewachsene Strukturen die Analyse vereinfachen, sind die Mechaniken in Netz nicht so klar. Im Fernsehen kann z.B. ein Sender aufgrund seiner Erfahrungen in Bezug auf verschiedenen Sendeplätze relativ genau im Vorfeld abschätzen, wie viele Zuschauer eine Sendung erreichen wird. Natürlich liegen sie dabei auch hin und wieder daneben ;)

Auf Grundlage dieser Einschätzung und des Werbeumfelds kann er wiederum die Formate planen und weiß welches Budget er für eine Episode oder Produktion zur Verfügung hat. Diese Deduktion ist bei Internetvideos nicht so ohne weiteres möglich, nichts desto trotz will ich versuchen eine ähnliche Mechanik darzustellen und die verschiedenen Einflussfaktoren aufzeigen.

Sender und Erwartungen des Publikums

Anders als beim Fernsehen, wo jedem klar sein dürfte, dass wenn er den Fernseher einschält er Bewegtbild konsumiert besteht diese Verbindung im Web nicht. Im Web gibt es meiner Ansicht nach lediglich zwei Seiten, die es annähernd geschafft haben sich mit dem Bewegtbildkonsum zu verknüpfen: YouTube und Hulu. Wobei ich mir bei YouTube auch nicht ganz sicher bin, da viele User nicht mit dem originären Wunsch Bewegtbild zu konsumieren auf die Seite kommen, sondern sehr gezielt nach einem spezifischen Video suchen oder von Freunden/Bekannten gezielt auf ein Video gelenkt wurden.

Bei allen anderen Bewegtbildanbieter im Netz (Verlage, Fernsehsender, Social Networks) sind Videos lediglich eine Ergänzung des Angebots. Dementsprechend schwach ist auch das Verhältnis von Unique Usern zu Unique Video Usern ( zwischen 7:1 SPON und 4:1 BILD).

Es gibt somit im Netz keinen klar definierten Fernsehsender, sondern lediglich Abspielplatzformen, die auch als Sender fungieren. Ein weitere Punkt, den man beachten muss ist, dass oftmals nicht einmal die anbietende Seite der Absender ist, sondern lediglich ein Distributionspartner, der vergleichbar mit einem Kabelnetzbetreiber dem eigentlichen Sender den Zugang zu weiteren Zuschauern ermöglicht. Gerade Modelle, wie das CBS Audience Network in dem der Inhalt vom Sender auf möglichst viele Seiten verteilt wird, etablieren sich immer mehr.

Senderplatz und Promotion

Da im Internet so gut wie alle Inhalte on demand angeboten werden, gibt es den klassischen Sendeplatz aus dem Fernsehen nicht. Trotzdem gibt es einige Faktoren, die maßgeblich bestimmen, wie oft ein Inhalt gesehen wird. Diese ergeben sich aus der Platzierung innerhalb der Seite. Ein Teaser auf der YouTube Startseite bringt einem Video zum Beispiel ohne weiteres 100.000 Videoabrufe am Tag. Bei anderen Seiten ist es ähnlich auch, wenn die Dimensionen zum Teil geringer sind.

Wandert das Video aus dem Viewport oder auf tiefere Seiten nehmen auch die zu generierenden Abrufe ab. Mit die schlechteste Platzierung ist dabei die Videobühne, denn Videos die lediglich dort platziert werden erreichen nur User, die gezielt Videos auf dem jeweiligen Angebot sehen wollen, was wie oben ausgeführt bei den wenigsten Seiten das primäre Ziel der User ist.

Die Verknüpfung von Artikeln (auf Newsseiten) oder Profilen (auf Social Networks) und Videos wiederum ist eine weitere gute Option um Traffic auf ein Video zu lenken, wobei hier natürlich der Traffic des Videos an den Traffic des Artikels/Profils geknüpft ist. Generell wird auch der beste Inhalt bei einer miesen Platzierung nicht oder kaum gesehen.

Zusätzlich zur Platzierung kommt es auch darauf an, ob der Inhalt einfach verlinkt und verbreitet werden kann. Ist es möglich das Video zu embedden, kann sich ein guter Inhalt sein Publikum auch bei einer miesen Platzierung erarbeiten. Dazu müssen die Zuschauer dafür sorge tragen dass er entsprechend verbreitet und verlinkt wird.

Formate

Zur Zeit handelt es sich bei der großen Mehrzahl für das Web produzierter Inhalte um Nachrichten. Es wird zwar auch mit Webisodes und verschiedenen Shows experimentier aber in Deutschland haben sich noch kaum Formate in diesem Bereich etabliert, weshalb es Sinn macht zuerst die Nachrichtenseiten mit ihren Videoangeboten zu betrachten.

Anders als zum Beispiel Evolution of Dance und vergleichbare Unterhaltungsvideos haben Nachrichtenvideos das Problem, dass sie eine extrem kurze Lebensdauer haben. Nach nicht einmal 24 Stunden sinkt das Interesse am Inhalt gegen null, was z.B. Longtaileffekte und den Wert des Archivs extrem reduziert und somit zwei der stärksten Effekte des Webs außer Kraft setzt.

Quote und Planung

Obwohl die Nachrichtenseiten (noch) nicht alle User dazu bewegen können Videos auf ihren Portalen zu sehen, konnten sie doch in den letzten Jahren kontinuierlich hohe Wachstumszahlen vorweisen. Nichts desto trotz sind die Zahlen noch nicht so, dass man damit zu frieden sein könnte. Nehmen wir als Beispiel Spiegel Online, die laut Goldmedia (PDF) im Oktober 2008 (sorry für die alten Zahlen – ich konnte keine aktuelleren finden) mit 40 Videos am Tag bis zu 500.000 Videoabrufe erzielten. Das bedeutet ein Video erzielt durchschnittlich um die 12.500 Abrufe. Nimmt man an, dass alle diese Abrufe zu einem TKP von 10 Euro vermarktet werden, erlöst jedes Video 125 Euro, die wiederum zur Refinazierung des Produktionsbudgets herhalten müssen. Natürlich ist es in der Realität komplexer: z.B. ein höherer TKP dafür aber eine geringere Auslastung usw. aber am Ende sind 10 Euro eine valide Größe, wobei die technischen Kosten für Bandbreite usw., die noch von den Erlösen abgezogen werden müssten.

Für 125 Euro kann man als Nachrichtenseite so gut wie kein Video für das Internet produzieren, das gelingt allenfalls ambitionierten Usern. Um die Schere zwischen Produktionskosten und Erlösen nicht zu groß werden zu lassen, setzen Nachrichtenseiten deshalb auf eine Mischkalkulation. Zu den eigen produzierten Beiträgen werden Agenturvideos z.B. von Reuters hinzugekauft. Darüber hinaus nutzt man jede mögliche Quelle für günstige oder kostenlose Videos, um die Durchschnittskosten pro Videos auf ein erträgliches Maß zu drücken. Leider verfahren die Agenturen genauso auch dort werden hochwertige Nachrichtenvideos (z.B. Politik und Korrespondenten) im Bündel mit günstigen Footage-Videos angeboten.

Dies führt zu zwei Dingen: 1) können auf fast allen deutschen Nachrichtenseiten die selben Agenturvideos gesehen werden (allenfalls noch durch einen Opener/Closer verschönert) 2) schaffen es jede Menge suboptimale Videos auf die Seiten, da sie in einer der beiden Mischkalkulationen auftauchen. Dieser Effekte führen dazu, dass es so etwas wie ein klares Videoprofil einer Seite kaum gibt, die Inhalte wirken beliebig und austauschbar.

Mögliche Lösungsansätze

Betrachten wir das oben dargelegte Setting kann jede Analogie (Sender, Sendeplatz, Format und Quote) optimiert und verbessert werden. Dazu muss der richtige Mix aus Senderstragie (Syndikation), Sendeplatz (Teasering), Format (inhaltliche Ausrichtung) und der zu erwartenden Quote und Vermarktung gefunden werden. Um unter den existierenden Bedingungen planen und erfolgreich produzieren zu können sehe ich folgende Optionen.

Mischkalkulation

Es wird versucht noch mehr günstige Videos auf die Seite zu holen um so die Videoabrufe insgesamt zu steigern und die Fixkosten je Abruf zu verringern. Zoom.In und andere stehen bereit und bieten ihre Inhalte zum Teil umsonst an. Doch angesichts der oben dargelegten Probleme mit dem Verlust des Profils der Seite stellt sich für mich die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens, das sich langfristig als Fehler erweisen könnte.

Reduktion

Ein anderer Lösungsansatz ergibt sich, wenn man versucht die Anzahl der Videos zu reduzieren, die jeden Tag publiziert werden. Da die meisten Abrufe von Videos sowieso von der Startseite oder aus einem Artikel heraus initiiert werden ergeben sich bei weniger Videos, die gleich promoted werden mehr Abrufe pro Video. Zugleich wird das Profil gestärkt und eine Alleinstellung erreicht, da nicht mehr generische Agenturvideos sondern Eigenproduktionen angeboten werden. Da sowieso die wenigsten User auf einer Nachrichtenseite mehr als ein Video pro Session sehen, kann man es mit Marc Cuban halten:

The concept of “users always want choice” really really sounds nice. It makes for a great panel argument. But the reality is that its not true. Ultimate choice requires work. Consumers like to think they have choice, but their consumption habits say they prefer easy.

Entschleunigung

Man sollte darüber nachdenken ob es überhaupt Sinn mach bestimmte Nachrichten in Videos zu packen, wenn sie sowieso nur 24 Stunden interessant sind. Sind nicht Text und Bild, Videos im Bezug auf schnelle Nachrichten so weit überlegen, dass der User unter umständen gar keine bewegten Bilder zu einer Story erwartet?

Bewegt man sich weg von den Nachrichtenvideos hin zu Formaten, die eine längere Halbwertszeit haben, ergeben sich ganz andere Effekte. Zum einen kann ein Video nicht nur Zuschauer an einem Tag auf sich vereinen, sondern hat eine Woche oder mehr Zeit. Zum anderen kann ein Format sich ein Stammpublikum aufbauen. Das Publikum kann so sogar über die Zeit wachsen, weil User dazu bewegt werden wegen der Videos auf die Seite zu kommen und nicht mehr nur zufällig beim Besuch der Seite auch ein Video sehen.

Syndikation

Auch wenn dieser Punkt im scheinbaren Widerspruch zu meinen Aussagen zur Mischkalkulation steht, ist die Syndikation der einzige Weg um Nachrichtenvideos profitabel produzieren zu können. Dafür muss sich der Sender genügend Partner suchen, die bereit sind die Videos abzuspielen und prominent zu platzieren. Es reicht dabei nicht aus, dass die Videos auf einer anderen Seite irgendwo auf der Videobühne eingebunden werden, denn dann werden durch die Syndikation kaum neue Zuschauer gewonnen.

Werden die Videos nur an Seiten syndiziert, die keine eigenen Videos produzieren, ergibt sich auch kein Widerspruch mit dem oben angesprochenen Problem eines Profilverlusts.

Zusammenfassung

Um eine Entscheidung bezüglich der Refinanzierbarkeit eines bestimmten Video-Budgets zu treffen, müssen zuerst die existierenden Strukturen des „Senders“ analysiert werden. Fragen wie: Wo werden die Videos abgespielt? Wie kommen die User auf die Videos? Können die Userströme gelenkt werden? sind dabei zu klären. Wurden diese Fragen geklärt muss anhand einem der oben angeführten Lösungsansätze überlegt werden, wie das Publikum und somit das zur Verfügung stehende Budget optimiert werden kann.

Dabei sind zuerst eine Reihe von strategischen Entscheidungen zu treffen bevor sich der ganze Prozess einspielen kann. Ich persönlich sehe das größte Potential darin, wenige gute langfristige Formate stark auf der Seite zu promoten und im Idealfall noch nach außen zu syndizieren. Über diese Mechanik käme man am Ende dahin, dass sich jedes produzierte Video auch rentieren kann.


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