Audience Flow bei Webvideos?

Beim Fernsehen ist der Audience Flow relativ gut erforscht. So können die Planer bei der Programmierung das Sehverhalten bis zu einem gewissen Punkt steuern und neue Inhalte geschickt einführen, indem Zuschauer von etablierten Sendungen langsam an die neuen Inhalte herangeführt werden.

Zudem besteht durch Erfahrungswerte für Quoten in den verschiedenen Timeslots eine relative Planungssicherheit, was die zu erwartenden Zuschauer für ein spezielles Format zu einer bestimmten Zeit auf einem bestimmten Sender betrifft.

All diese Instrumente sind im Web noch nicht ausgeprägt bzw. nicht existent. Was ist das äquivalent der TV-Primetime im Web? Ein Featuring auf der YouTube-Startseite? Wie wählen Zuschauer das nächste Video aus, das sie sehen möchten? Sind es wirklich die „Related Videos“, suchen sie sich etwas ganz neues oder brechen sie das Sehen nach einem Video ab? Gibt es auch im Web ein „Relevant Set“ von Formaten, die bevorzugt konsumiert werden?

Diese Fragen können momentan wohl nur die großen Videoportale mit ihren Analystools beantworten, der Produzent von Videos muss sich die Antworten durch experimentieren erarbeiten.

Audience Flow bei Webvideos

Im Gegensatz zum Fernsehen ist der Audience Flow bei Webproduktionen um ein vielfaches Komplexer. Zuerst gibt es keine klar definierten Timeslots für den Konsum von Videos im Internet, dann gibt es auch nicht wirklich ein vorhergehendes oder ein folgendes Programm (von Playlisten einmal abgesehen) und schließlich gibt es auch kein relevant Set von 12 Sendern.

Die Zuschauer selektieren viel mehr selbst auf Grundlage von Empfehlungen von Freunden/Medien, ihrer eigenen Erfahrung, ihren Interessen und automatisch generierte Listen (Top-Videos) und Verknüpfungen (Verwandte Videos). Hinzu kommt, dass Webvideos kein singuläres Ereignis auf einer Seite sind, sondern in der Regel auf verschiedenen Portalen, Partner-Seiten und der eigenen Seite des Produzenten statt finden. Dieses Konglomerat an Einflüssen kann man natürlich nicht gezielt steuern, aber man kann es optimieren und versuchen bestimmte Zuschauerbewegungen zu induzieren.

Dabei gibt es zwei Möglichkeiten den Audience Flow zu optimieren zum einen den Flow zwischen den verschiedenen Seiten (Inter-Seiten-Flow) und zum anderen den Flow innerhalb der Seiten (Intra-Seiten-Flow) und hier ganz speziell die Optimierung auf Videoportalen wie YouTube.

Inter-Seiten-Flow

Das Leiten von Zuschauern zwischen den Seiten ist eine Kunst für sich und wie das im Detail passt muss jeder für sich selbst wissen. Hier nur ein paar Anregungen, wie man damit als unabhängiger Produzent von Webvideos umgehen kann. Zu Beginn hat man auf allen Videoportalen das Problem, dass man in der Masse an Einreichungen untergeht. Bei 10 Stunden Material, das jede Sekunde zu YouTube hochgeladen wird, sollte man etwas dafür tun um gesehen zu werden.

Audience Flow (inter Site)

Also wird in der ersten Phase versucht von externen Seiten Zuschauer auf den YouTube Kanal und die eigenen Videos zu leiten. Das hat erstens der Vorteil, dass man nicht gegen die riesige Masse an Videos auf YouTube ankämpfen muss. Zweitens ist in dieser Phase die Reichweite meist sowieso noch zu gering um an eine Vermarktung zu denken und drittens nutzt man die Zuschauer doppelt indem sie einmal das Video sehen und zum anderen dafür sorgen, dass das Video auf YouTube in verschiedenen Rankings auftaucht. So um die 30 Bewertungen, Favoriten oder Kommentare reichen meist schon aus um auf der ersten Seite der jeweiligen deutschen Rubrik zu landen. Noch einfacher und nachhaltiger ist es wenn man versucht die Besucher direkt als Abonnenten zu gewinnen. Ein Link auf http://www.youtube.com/subscription_center?add_user=USERNAME genügt und die User werden (sofern sie bei YouTube angemeldet sind) in Zukunft per Email und auf der YouTube-Startseite über neue Videos informiert.

In der zweiten Phase wird dann versucht aus dem Grundstock an Zuschauern über die Intra-Seiten-Optimierung (dazu unten mehr) eine möglichst große und treue Zuschauerschaft aufzubauen.

Anschließend kommt die dritte und schwerste Phase. Das Zurückleiten der Zuschauer auf die eigene Seite. Dies ist natürlich nur dann relevant, wenn man darauf aus ist die eigenen Videos zu vermarkten. Geht es nur darum ein möglichst großes Publikum aufzubauen, kann man dies auch nur auf den Videoportalen machen. Möchte man sich jedoch vermarkten ist es unablässig viele Zuschauer wieder auf die eigenen Seite zu holen. Nicht zuletzt kann man dort neben einem kontrollierten Umfeld auch mit deutlich höheren TKPs rechnen als sie das YouTube-Partner-Programm bietet. Natürlich müssen dafür Anreize geschaffen werden um die User von YouTube zu einem Wechsel zu bewegen. Kleine Communities, bessere Qualität, HD-Inhalte oder Bonus-Material aber auch Medienaufmerksamkeit, die durch YouTube erzeugt wurde, sind dafür sicherlich ein guter Anfang.

Man startet also mit einer kleinen existierenden Fan-Community und lässt diesen Keim auf den verschiedenen Videoportalen zu einem stattlichen Publikum wachsen um dann in einer Umtopfaktion die Zuschauer wieder auf die eigene Seite zurück zu holen.

Intra-Seiten-Flow

Zuallererst gilt es das Timing und die Frequenz des Veröffentlichens auf den Portalen zu optimieren. Die Toplisten sind an manchen Tagen verstopfter als an anderen. So ist nach bestimmten TV-Events kaum ein vorbeikommen an den Highlights. Insbesondere große Fussballspiele, Sport- und Casting-Shows ziehen regelmäßig viele Zuschauer an. Es lohnt sich also die Toplisten zu beobachten um einen geeigneten Zeitpunkt für die Veröffentlichung zu finden.

Verstopftes YouTube

Neben dem Timing ist die Frequenz des Publizierens entscheidend. Ist sie zu kurz verpufft das Potential einzelner Videos, da bereits das nächste Video gesehen wird. Ist die Frequenz zu lang können die User keine Regelmäßigkeit erkennen. Die richtige Mischung hängt hier von der Art der Inhalte und dem Bezug zu äußeren Einflüssen ab.

Auf zwei Typen von Videos und den entsprechenden Zuschauerverläufen möchte ich hier gesondert eingehen. Das Event- und das Evergreen-Video.

Event-Video

Event video

Hat das Video einen aktuellen Bezug ist es entscheidend es auch in diesem Kontext zu publizieren. Neben den entsprechenden Tags und dem Titel muss beachtet werden, dass das Video wohl innerhalb von sehr kurzer Zeit die große Masse an Zuschauern generieren wird. Danach lässt das Interesse nach und das Video verschwindet in den Niederungen der Portale. Gerade indem man aber schnell und gezielt auf aktuelle Ereignisse reagiert, kann man zum Teil enorme Abrufzahlen in dieser kurzen Zeit generieren. Aus diesen Abrufzahlen gilt es dann Stammseher zu rekutrieren.

Evergreen-Video

Evergreen video

Im Gegensatz zum Event-Video ist das Evergreen-Video nicht an ein singuläres Ereignis gebunden. Es performt über die Zeit relativ gleich und hat eine gleichbleibende Attraktivität für die Zuschauer. Ein Vorteil bei dieser Art von Video ist, dass das Video auf lange Sicht mehr Zuschauer erhalten wird als ein Event-Video und zudem angenommen werden kann, dass es einen bestimmtes Bedürfnis der Seher befriedigt.

Leuchtturmstrategie

Diese beiden Videotypen sind wichtig, weil man mit ihnen eine Leuchtturmstrategie fahren kann. Dafür produziert man zuerst eine ganze Reihe an Evergreen-Videos, die man auf den Videoportalen publiziert und beobachtet.

Leuchtturmstrategie

Anschließend produziert man gezielt Videos, die als Leuchttürme fungieren. Diese sind entweder besonders viral oder generieren mit Hilfe eines entsprechenden Events oder einer externen Marketingkampagne viele Abrufe. Diese Leuchttürme sorgen dafür, dass der Produzent bekannt wird, indem das Video durch alle Toplisten wandert und am Ende idealerweise seinen Platz in der ewigen Top-Liste findet.

Die anderen Videos (Evergreens) dienen nun dazu, die Zuschauer des Leuchtturm-Videos zu binden. So wird die Zuschauerbasis für alle Videos angehoben. Das Leuchtturm-Video ist sozusagen das Aushängeschild des Produzenten und teasert die anderen Inhalte an.

Diese Strategie – wohl nicht immer bewusst – kann man an einer Vielzahl bekannter Channels auf YouTube beobachten: Smosh schafften den Durchbruch auf YouTube mit dem „Pokémon Theme“ (mittlerweile gelöscht), Chris Crocker mit „Leave Britney alone“ und Soulja Boy mit „Crank That„. Allerdings funktioniert es nur, wenn auch die anderen Videos ansehnlich sind. Nikesoccer zum Beispiel kann die vielen Zuschauer von „Ronaldinho: Touch of Gold“ weder vom Abonnement noch von den anderen Videos überzeugen.

Weitere Optimierungen

Thumbnails fuer Videos

Neben diesen konzeptionellen Überlegungen gibt es auch eine ganze Reihe an praktischen Möglichkeiten und Werkzeugen, wie man die Zuschauerzahlen für seine Videos optimiert. Neben den üblichen Mitteln wie Titel, Tags und Thumbnail finden sich auf Techcrunch eine recht umfassende Anleitung, wie man – mal mehr und mal weniger in Übereinstimmung mit den Terms of Service – Zuschauer für seine Videos generiert.

Fazit

Niemand käme auf die Idee einfach so einen Programmplan für das Fernsehen zusammen zuschreiben und anschließen darauf zu vertrauen, dass das Publikum von einer Sendung in die nächste übergeben wird. Aber genau das passiert heute in den meisten Fällen, wenn es um das Veröffentlichen von Webvideos geht.

Doch auch hier gilt es eine ganze Reihe an konzeptionellen und strategischen Überlegungen anzustellen, bevor das erste Video veröffentlicht wird. Es beginnt bei den Zeiten und der Frequenz geht über die Inhalte bis hin zu gezielten Verknüpfung mehrerer Seiten um die Zuschauer optimal zu leiten.


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