Der Joost-Hype und die Realität.

Vor einem guten halben Jahr erhielt ich meine erste Einladung zu Joost, das damals noch unter dem Projekt-Namen The Venice Project firmierte. Seit dieser Zeit ist es Joost gelungen eine unglaubliche Aufmerksamkeit rund um ihre Applikation zu schaffen sowohl in Blogs als auch in den Medien.

Joost Posts in Blogs

Der Buzz geht soweit, dass sich Joost-Einladungen als Währung in Blogs etabliert haben. Konnte man zu den guten alten Venice Project Zeiten noch komplexe Experimente von den Lesern fordern wenn man Einladungen vergab, ist der Preis mittlerweile auf ein Kommentar gesunken. Trotzdem lassen sich mit den Einladungen noch erhebliche Umsätze (+6000 Kommentare) erzielen.

In einer Sache sind sich (die meisten) Blogger und Medien einig: Joost revolutioniert das Fernsehen und die Skype und Kazaa Gründer landen ihr nächstes großes Ding. In der Tat könnten sich Janus Friis und Niklas Zennström als die Erfolgsgaranten für Joost und die Investoren entpuppen, denn das haben sie der Konkurrenz, die mehr oder weniger genau das selbe macht vorraus.

Joost profitiert zudem davon, dass sich der Ansatz sehr gut kommunizieren lässt. Die Medienhäuser verstehen, was Joost macht: Es ist eben „Broadcast“ über das Internet. Joost bietet DRM, Geo-Targeting, Anti-Piracy-Maßnahmen, zielgruppengenaue Werbeansprache und die ganze Umgebung kann kontrolliert werden. Die Medienhäuser müssen auf Joost nicht mit User-Generated-Content konkurrieren und können einfach ihr komplettes Archiv dort abladen und warten bis Werbeeinnahmen generiert werden. Aber selbst dieser Vorteil und die beiden Gründer, die nach wie vor hauptsächlich für Ebay arbeiten und die Umsetzung Dirk-Willem van Gulik und Fredrik de Wahl überlassen, können nicht über einige ernsthafte Probleme hinwegtäuschen.

Das Ärgerliche

Zuerst gibt es bei Joost einige nicht substanzielle Dinge (die mich persönlich stören), die jedoch wohl keine größeren Probleme für den Ausbau darstellen.

Wie schreibt Spiegel Online so schön: Doppelklick, Username, Passwort und schon startet die erste Sendung. Meine Erfahrung war eher: Doppelclick, Crash, Download neuer Version, Screen Name anlegen, noch mehr Daten angeben … warten … Sendung. Selbst nach einem halben Jahr Betatest sind Abstürze eher die Regel als die Ausnahme. Die Updatepolitik mit dem sofortigen Verfallen alter Versionen und der zunehmende Hunger auf persönliche Daten tun ihr übriges um alte Spy-/Adware Geschichten in Erinnerung zu rufen.

Das Joost-(Seh-)Erlebnis wird zudem duch zwei Dinge getrübt. Zum Einen wird bei jeder Aktion (Channel wechseln, Episode überspringen …) Werbung eingeblendet. Prinzipiell nicht schlimm, nur kommt die Werbung auch, wenn man nur eine Sekunde des Programms gesehen hat und es dauert meist drei Sekunden bis die Werbung angezeigt wird, dann fünf Sekunden Werbung und anschließend nochmals drei bis fünf Sekunden bis das nächste Programm beginnt. Man stelle sich vor bei jedem Zappen im Fernsehen oder jedem Seitenwechsel im Internet würde ein Splashscreen erscheinen – undenkbar.

Das zweite Ärgernis beim Sehen ist die extrem schwankende Qualität des Bildes und – in meinen Augen noch schlimmer – das Ruckeln wenn der Stream nicht konstant empfangen werden kann.

Besonders ärgerlich für den späteren Käufer dürfte sich jedoch etwas anderes erweisen. Angesichts der Finanzierungsrunde von $45 Millionen gibt es nur noch eine Handvoll üblicher Verdächtiger, die für den Erwerb von Joost in Frage kommen (Amazon, Ebay, Yahoo!, Microsoft, Viacom, Disney, News.Corp …). Einer dieser Konzerne wird sich erbarmen und die jetzigen Investoren aus ihrer Zwickmühle befreien, denn Joost bestitz kaum Werte, die die Bewertung rechtfertigen. Die Kerntechnologie der Global Index ist nicht Teil von Joost und war nicht Teil des Skype- oder Kazaa-Deals. Diese Technologie gehört immer noch Joltid von Janus Friis und Niklas Zennström und wartet nur darauf nach dem Joost-Exit beim nächsten großen Projekt (P2P basiertes MPOG??) zum Einsatz zu kommen. Die anderen Technologien, die bei Joost zum Einsatz kommen basieren zum großen Teil auf Open-Source-Komponenten. Und da auch die Gründer nicht Teil des Managements von Joost sind, bekamen die jetzigen Investoren nur die Chance auf einen erfolgreichen Exit durch Akquisition.

Die Probleme

Die genannten Punkte sind alles mehr oder weniger große Ärgernisse, die sich jedoch entweder abstellen lassen oder die keine Auswirkungen auf die Entwicklung haben werden. Joost hat aber auch mit ernsthaften Problemen zu kämpfen, die in der grundlegenden Architektur liegen und die nicht so einfach zu bewältigen sind.

Desktop-Anwendung

Das erste Problem von Joost ist, dass es eine Desktop-Anwendung ist. Damit ist zuerst einmal die Installationshürde gegeben. Dann folgt, dass Joost an keinem der bekannten Netzwerkeffekete des browserbasierten Internets partizipieren kann. Links zu einzelnen Sendungen sind nur über Umwege möglich, direkte Bezüge, Widgets oder Embeds sind nicht möglich. In einer Zeit in der immer mehr Anwendungen ins Internet verlagert werden (Google Office …) und die Lightnets für einen Großteil der Umsätze und Erfolge der letzten Jahre verantwortlich sind, will Joost das Fernsehen wieder in die Darknets verbannen (ausführliche Argumentation Lightnets vs. Darknets hier). Das wird für die Masse nicht funktionieren. Joost profitiert im Moment von „Tauschbörsen-Switchern“, die für Joost die klassischen P2P-Anwendungen aufgeben. Dies werden sie jedoch nur so lange tun, bis die geografischen Sperren voll in Kraft sind und sie wieder zurück zu den P2P-Anwendungen müssen um Serien zum US-Start zu sehen.

Neben den Problemen, die allein schon in der Tatsache begründet sind, dass Joost eine Desktop-Anwendung ist, ergeben sich auch aus den Hardwareanforderungen Probleme. Zum Einen ist eine einfache DSL-Verbindung nicht ausreichend und zum Anderen sind die minimalen Hardwarenanforderungen genau das Minimum und eher dazu geeignet die Anwendung zum Absturz zu bringen als zum Arbeiten. Auf vielen PCs und Macs lässt sich Joost also erst gar nicht installieren und viele Firewalls in den Firmen werden den Traffic blocken.

P2P-Streaming ist nicht effektiv

Joost basiert auf einer Peer-to-Peer-Technologie. Dabei wird breit kommunziert, dass mit P2P Fernsehen kostengünstiger und effektiver ausgeliefert werden kann, weil keine zentrale Server notwendig sind und die User die Bandbreitenkosten übernehmen. Diese Angabe ist falsch. Peer-to-Peer-Streaming setzt nicht etwa wie Bittorrent verschiedene Dateiteile wieder zu einer ganzen Datei zusammen sondern das Streaming benötigt immer einen speziellen Dateiteil um den Stream fortsetzen zu können. Das schränkt die Anzahl der verfügbaren Peers enorm ein und führ zum Ruckeln und einer schlechten Quality of Service wenn ein Peer Joost beendet und wegbricht. Außerdem ist die verfügbare Uploadbandbreite um eniges geringer als die Downloadbandbreite.

Joost begegnet diesen Problemen auf drei Arten (pdf) (1) es gibt zentrale Server, die alle Inhalte seeden, (2) diese zentralen Server liefer auch die Long Tail Inhalte aus, die nur von wenigen Peers gesehen werden und somit nicht effektiv über ein P2P-Netzwerk vertrieben werden können, und (3) die Joost Server schließen die DSL-Gap indem sie die fehlende Bandbreite nachliefern. Nimmt man zu diesen Prämissen noch hinzu, dass sich beim P2P-Streaming 40% Overhead ergeben, der sich in zusätzlicher Rechenpower für die Peers (durch dauernde Rekonfiguration der Quelle) und zusätzlicher Bandbreite für doppelt gesenderter Pakete, äußert ergibt sich, dass P2P-Streaming für die Auslieferung von Videoinhalten sehr schlecht geeignet ist.

Es verwundert also nicht weiter, dass die Server bei jeder Öffnung des Beta-Tests in die Knie gingen, müssen sie doch die Hauptlast des Traffics tragen. Schaut man sich dieses Setup genauer an sieht man, dass Joost mit einer zentralen oder verteilten Serverarchitektur besser beraten wäre, als mit dem P2P-Streaming:

  • 80% des Traffics (Analog zu 80% des Amazon-Umsatzes) wird im Long-Tail generiert, der über die Joost-Server bedient wird.
  • 66% des restlichen Traffics müssen auch die Joost-Server aufrund der DSL-Gap handeln (pro Peer und Stunde: 320 MB down 105 MB up = 215 MB Gap, oder darf man das so nicht rechnen?).
  • Dazu noch Seeding und Overhead ergeben wohl, dass die Server auf die eine oder andere weiße die Hauptlast des Traffics handeln müssen – P2P hin oder her.

Dieses Problem könnte zu massiven Qualitätseinbußen führen, wenn Joost erst für alle geöffnet wird, analog zur schlechteren Qualität bei Skype nach dem breiten Launch.

P2P-Streaming ist teuer

Indem jeder Peer auch Inhalte weiterleitet verbraucht er mehr Bandbreite als er müsste. Das ist die Idee hinter Joost: die Traffic-Rechnung für den Anbieter soll möglichst gering ausfallen. Unabhängig davon, dass dies so wohl nicht aufgeht (s.O.), verbraucht Joost enorme Bandbreite auf der Endkundenseite. Nimmt man einen täglichen Joost-Konsum, der an den normalen Fernsehkonsum heranreicht, verbraucht der Endnutzer pro Tag locker ein Gigabyte an Traffic allein für Joost (320 MB down + 105 up * 2,X Std). Dies sind enorme Mengen, die die Mischkalkulation der ISPs kräftig durcheinander bringen können. Das wiederum könnte dazu führen, dass die Bandbreiten der Poweruser in Spitzenzeiten beschnitten werden, irgendwann die Ports geblockt werden, Joost in den AGBs ausgeschlossen wird oder ganz einfach die Preise für alle User steigen. Am Ende bezahlen die Endverbraucher in der einen oder anderen Form für die Einsparungen der Konzerne.

Interessant an dieser Stelle ist, dass gerade die großen Medienkonzerne in ihren P2P Angeboten die von den Usern zur Verfügung gestellte Bandbreite honorieren und sogar in verschiedenster Form entlohnen. Joost bietet nichts in dieser Richtung, sondern verdient an der Werbung für deren weitere Verbreitung die User ihre Bandbreite bereit stellen.

Alle Inhalte müssen nach Leiden

Damit Videos oder Sendungen bei Joost integriert werden können, müssen sie zuerst nach Leiden in Holland. Dort werden sie transkodiert und auf die Joost-Server verteilt. Für diesen Prozess gibt es unter Umständen irgendwann eine gangbare technische Lösung, aber für die rechtlichen Verhandlungen im Vorfeld nicht. Rechteinhaber können sich nicht einfach bei Joost registrieren und selbst wenn, hätten sie wohl im Regelfall nicht die weltweiten Rechte für die Inhalte. Joost bräuchte fast unlimitierte finanzielle und menschliche Ressourcen um schnell die ganzen Lizenzen auszuhandeln um ein attraktives Programm auf die Beine zu stellen. Die Ergebnisse bis jetzt sind bescheiden. Letzten Endes mussten auf Druck der Rechteinhaber künstliche Grenzen eingerichtet werden damit für die USA lizenzierte Inhalte nicht in Deutschland zu sehen sind und umgekehrt. Bis Joost diese Hürden gemeistert hat und nicht mehr nur vereinzelt attraktive Inhalte bietet werden wohl noch Jahre vergehen.

Joost ist weder Fisch noch Fleisch

Joost will das Beste aus dem Fernsehen mit dem Besten aus dem Internet verbinden. Was dabei heraus kommt sieht man deutlich, wenn man dem Interface ein für den Fernseher optimiertes Interface gegenüber stellt:

Joost Interface EyeTV Interface

Bei Joost konnt man sich offensichtlich nicht Entscheiden, was das Beste am Fernsehen ist und was das Beste am Internet ist. Deshalb nahm man Bildqualität und Full-Screen (Fernsehen) sowie On Demand und Chat (Internet). Heraus kam ein Zwitter, der weder den Anfoderungen des Internets noch denen des Fernsehens gerecht wird. Für eine Lean-Back-Nutzung (Fernsehen) ist das Interface nicht geeignet, da es ab einem Meter Abstand nicht mehr zu lesen und navigieren ist, außer man hat einen 42 Zoll Plasma-Bildschirm;-) Die on-demand Nutzung kann Jeder Zuhause mit einem DVR oder entsprechenden Kabeldiensten einfacher und hochwertiger haben.

Eine Lean-Forward-Nutzung (Internet) von Joost wird durch den penetranten Vollbildmodus und die Desktop-Applikation unterdrückt. Joost integriert sich nicht in die bekannte Weblandschaft. Der User soll Joost nicht im Kontext von Webseiten und einem normalen Surfverhalten nutzen.

Fazit

Der entscheidende Vorteil von Joost sind die Gründer, die mit ihren bisherigen Erfolgen für viel Publicity, Vertrauen und Verbindungen sorgen. Allerdings könnte sich die Fixierung der Gründer auf die P2P-Technologie als kritischer Nachteil erweisen, da sie nicht unbedingt dazu geeignet ist das Ziel zu erreichen.

Deshalb sind die Gründer letzten Endes keine Versicherung dafür, dass Joost funktioniert – höchstens für die Investoren, denn ein Exit ist sehr wahrscheinlich. Einer der Großen wird früher oder später Joost kaufen. Am wahrscheinlichsten ist Yahoo!, die haben ja bereits Broadcast.com dazu würde Joost gut passen ;-)


Weitere Fragen?

Haben Sie Fragen zu meiner Tätigkeit oder benötigen meine Unterstützung?

info@gugelproductions.de